Stellungnahme des Tacheles zum Bebauungsplanverfahren I - 41
Soziale Dimension
Eine Stadt ist das Produkt zahlreicher historischer Perioden und gewachsener sozialer, kultureller, geographischer, politischer und ├╢kologischer Besonderheiten.
Die Neubebauung des Areals zwischen Oranienburger, Johannis - und Friedrichstraße erfordert eine an den Lebensqualitäten der Spandauer Vorstadt orientierte Planung.
Der vorgelegte städtbauliche Entwurf behauptet, “... ein Stück Stadt mit allen Gegensätzen und Spannungen, aller Lebendigkeit und Erlebnisvielfalt, die ein innerstädtisches Quartier entfalten kann”, zu entwickeln. Durch die Bebauung der ausgewiesenen Flächen in ihrer vorgesehenen Nutzung würde jedoch die Struktur der Spandauer Vorstadt blockiert, aufgebrochen und zerstört werden. Die von der Fundus - Gruppe geplante Errichtung einer Gürtelzone zwischen gehobener Klasse, Regierungsviertel am Spreebogen und der unter Denkmalschutz stehenden “Spandauer Vorstadt” sowie die beabsichtigte Ansiedelung von “kreativen Gewerbe und Restauration” (wobei ungeklärt bleibt, was “kreativ” meint) nivelliert nicht nur das Stadtbild, sie führt zwangsläufig zur Verdrängung von bestehendem Einzelhandel, Kleingewerbe und letztendlich zum Auszug von ansässigen und mit der Geschichte aufgewachsenen Mietern dieses Stadtteiles.
Der Bezirk Berlin - Mitte hat sich nach dem Zusammenbruch der DDR, bedingt durch die vorhandenen Nischen und Leerräume, zu einem für Europa einmaligen künstlerischen Experimentierfeld entwickelt. Die durch die Politik der dezentralen Kulturarbeit geförderten kulturellen Aktivitäten wirken weit über die Berliner Grenzen hinaus. Hier konnten und können Künstler “zur Welt kommen”.
Das Areal der ehemaligen Friedrichstraßenpassage - das heutige Kunsthaus Tacheles mit der dahinter bestehenden Freifläche - ist fester Bestandteil dieser städtebaulichen Situation. Als Teil eines größeren Ganzen und der urbanen Dynmik sollte sich dieses Gesamtkunstwerk nicht zu einem erstarrten Kulturstandort, einer Zone der Kontemplation am Ende der Museumsroute und zur bloßen Attraktion des Fremdenverkehrs entwickeln müssen.
Der vorgestellte Bebauungsplan weist Tacheles als ΓÇ£innovatives Kernst├╝ckΓÇ¥ des Johannisviertels aus. Mit dem Projektgedanken ΓÇ£TachelesΓÇ¥ hat sich Fundus aber nie auseinandergesetzt.
Die Planungsunterlagen berufen sich auf die Kooperation Fundus - Tacheles. Die Kooperation zwischen beiden Seiten ist jedoch eine reine Behauptung. Unverbindliche Gespräche und Absichtserklärungen genügen nicht als Argument einer Zusammenarbeit.
Es gibt bis dato keine schriftliche Zusicherung für den langfristigen Erhalt des Kunsthauses Tacheles. Im Sinne des kooperativen Ansatzes hat Tacheles sämtliche planungsrelevanten Unterlagen, die die Ziele des Tacheles (Unabhängigkeit, finanzielle Tragfähigkeit, dauerhafter Erhalt) ausformulieren, zum 15. mai 1996 wie vereinbart der Senatsverwaltung für Wissenschaft , Forschung und Kultur in seiner Mittlerfunktion zwischen Tacheles und Fundus erstellt.
Die vom Kultursenat geforderten verhandlundsrelevanten Eckdaten stehen von Seiten des Investors noch aus. Daher fordern wir konkrete Eckdaten bezüglich der Sanierung, der Nutzungs - und Eigentumsverhältnisse, um in die Verhandlungs-phase eintreten zu können.
An dem derzeitigen städtebaulichen Entwurf ist abgesehen von der nicht reflektierten inhaltlichen Problemtik zu bemängeln,
a) die Geschoßhöhe, die sich nicht an der Traufkante mit fünf Vollgeschossen, sondern an der des Johannishofs orientiert,
b) die an die Friedrichstraße 112a und b und an die Oranienburger Straße 56a angrenzenden Gebäudetrakte. Tacheles plädiert für den Verzicht auf diese “Umarmung” zugunsten eines freistehenden Tacheles und einer aufgelockerten Platzform.
c) der Medienturm, der implantiert wirkt und die Bespielbarkeit und Nutzung des Platzes als öffentlichen Raum erheblich einschränkt. “Besondere” Ereignisse sind nicht mehr möglich, wenn dieser Platz von Tele-Medien bestimmt wird.
Aus diesen Gr├╝nden lehnen wir den Bebauungsplanentwurf in seiner derzeitigen Form ab.
Wir regen an,
das A - Grundstück hinter dem Tachelesgebäude bis auf weiteres im unbebauten Zustand zu belassen, einer anderen, rein öffentlichen Nutzung zuzuführen und sich diesbezüglich mit der OFD, der momentanen Grundstücksverwaltung, und dem Bezirksamt über Alternativen zu besprechen.
Der jetzt existierende und in eigener Initiative gestaltete Freiraum hinter dem Tachelesgebäude ist die von Tacheles favorisierte Möglichkeit. Ein Genius loci lebt von Veränderung, das Prinzip des “work in progress ist lebbar und lebensnotwendig. Nichts kann die Idee menschlicher Freiheit besser tragen als das Medium Kunst. Ephemere Kunstobjekte und - projekte erhalten diesen Ort als agiles und öffentliches Forum und bewahren seine Lebendigkeit.
Wir warnen davor, durch ein Abschreibungsprojekt das Kunsthaus Tacheles und die damit verbundene Idee zu liquidieren. Der für Berlin und seine Kulturlandschaft begonnene Prozeß der Auseinandersetzung würde abrupt abgebrochen, der in Gang gesetzte Diskurs über das Bedürfnis nach öffentlichen Räumen wäre ignorriert. Wieder einmal, wie so oft in den vergangenen sieben Jahren, hätte das Argument des zahlungsfähigen Investors über das Bedürfnis nach Civitas triumphiert.